ALTE SPITZEN
2020


Das vorliegende Handbuch will einen kurzen Überblick geben über die verschiedenen Arten der Spitze oder vielmehr über das, was man unter den verschiedenen Benennungen versteht. Die Technik spielt für die Bestimmung einer Spitze eine ebenso wesentliche Rolle, wie die Zeichnung, und das Wichtigste, was darüber zu sagen wäre in einem Handbuch, das sich nicht die praktische Erlernung, sondern die Charakterisierung der verschiedenen Spitzenarten zum Ziele gesetzt hat, ist kurz im ersten Teil geschehen. Allerdings führt dies zu Wiederholungen im zweiten geschichtlichen Abschnitt, doch ist dagegen geltend zu machen, dass sich die verschiedenen Arten und Abarten der Spitze nur vom Standpunkt der Technik aus in einer lückenlosen Reihe betrachten lassen.
Jeder Spitzentyp ist durch eine Abbildung veranschaulicht. Und da es vornehmlich auf die Darstellung und die Verdeutlichung der Textur ankommt in einem Spitzenhandbuch, weniger auf die Entfaltung des ganzen Musters, so sind die für das Buch aufgenommenen Spitzen mit wenig Ausnahmen in originalgroßen Abschnitten wiedergegeben. Bei der Auswahl bereits vorhandener Vorlagen ist auf eine möglichst geringe Verkleinerung Gewicht gelegt.
Für die gütige Erlaubnis, Mme. Kefer-Malis lehrreiche Vergrößerungen der geklöppelten Maschentypen an dieser Stelle zu veröffentlichen, bin ich Mme. Kefer-Mali und M. van Overloop, Brüssel, zu besonderem Dank verpflichtet.
Manche Leser würde vielleicht eine Bemerkung über das Instandsetzten und Waschen von Spitzen in einem Handbuch vermissen, und so möge dies kurz an dieser Stelle erörtert werden. – Im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert, wissen wir aus englischen berichten, wurde die modisch gelb gefärbten hochstehenden und mit Ellen von Spitzen besetzten Krausen gestärkt und getollt. Die von Holland eingewanderten Wäscherinnen der Königin Elisabeth brachten das Geheimnis des Stärkens mit sich. Mit dem Schulterkragen kam das Stärken ab, es blieb nur noch Brauch für die Hauben und ihren plissierten Spitzenbesatz. –
Gestärkten Spitzen tut man gut, die Stärke durch Einweichen in warmen Wasser zu entziehen, da sie sich in weichem Zustand besser konservieren. Man nadle sie, und sehr schadhafte Arbeiten heftet man am besten auf eine schmiegsame Stoffunterlage. Wo ein Ausbessern unvermeidlich erscheint, übertrage man dies einer zuverlässigen Spitzenarbeiterin. Je weniger in dieser Richtung geschieht, desto besser. Denn die alten Spitzen leiden fast ausnahmslos an zu starker Reparatur, und viele, die im Handel zu sehen sind, erweisen sich bei näherer Prüfung als aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt. Die sicherste Auskunft hierüber gibt das zusammenhanglose oder das nicht vorhandene Muster. Nachahmungen, etwa Kopien von feinen alten Rokokoklöppeleien, sind technisch nicht ausführbar, dagegen sind die genauen italienischen Kopien nach alten Nadel- und Klöppelspitzen und Stickereien täuschend. Die italienischen Frauen aus dem Volke besitzen noch heute eine wunderbare Geschicklichkeit in diesen Arbeiten. Seit elf Jahren werden sie von der trefflich organisierten Vereinigung der Industrie femminili italiana unterrichtet und mit guten alten Vorlagen und Arbeitsmaterial versorgt, so dass diese Heimarbeiterinnen Werke schaffen, die den alten ebenbürtig an die Seite treten und nach einer Reihe von Jahren, wenn sie Gebrauchsspuren aufweisen, bona oder mala fide im Handel an ihre Stelle gesetzt werden können. Gewisse technische Gewohnheiten, d.h. Vereinfachungen und der Erhaltungszustand, sind die Erkennungsmerkmale der modernen Arbeit, dazu kommt bisweilen der Faden. Rezepte lassen sich auch hier ebensowenig geben wie auf anderen kunstgewerblichen Gebieten.

Sommer 1913
Marie Schuette

ALTE SPITZEN, 2020

Text zitiert aus: Marie Schuette, Alte Spitzen, Nadel- und Klöppelspitzen, Berlin 1921
Series of 100 photographs, inkjet-print on book page, each 20,5 x 28 cm, 2020