DIE BLAUEN BÜCHER
2018
Cultural transfer and historical adaptations thus lead the artistic direction in his works. They form the basis for combinations of motifs that ultimately transmit something temporally or spatially absent into the presence of the exhibition.
This transmission can take various forms:
It can be directly attached to an object installed in the room, such as the work Subway Birds shown in the exhibition. The red cloth, adorned with unmistakably Chinese ornamentation—a souvenir from a trip to Chongqing in October of this year —is contained within a cage-like installation. This makes reference to the bird motif on the printed fabric. The sensual quality and vibrancy of the material is enveloped by the cool, physical materiality of the metal grating. This represents the initial idea of caged birds. For a better understanding of the title's perspective, you may need to have been to Chongqing before: you may need to have experienced a longer ride in the crowded subway of the metropolis, and in this very subway, to have observed this group of loud, talkative, garishly dressed Chongqing ladies, who, with their aggressive chattering, ultimately influenced the work’s title.
Aside from this story, the patterned cloth also conveys the context of Chinese culture, offering us the opportunity to imagine it. On closer inspection, it also shows that the stereotypical notion of precious Chinese silks belongs more to a constructed past than a lived Chinese present.
Another approach is the appropriation of reproduced images and models that are sometimes synonyms or visual surrogates for a whole era.
In the work cycle The Blue Books, Westermeier uses photographic reproductions of sculptures from classical antiquity. The black-and-white photographs are taken from the volume Griechische Bildwerke (Greek Sculptures) by Max Sauerland, published as part of the Die blaue Bücher series in Leipzig in 1942. The photo book is a collection of images of the icons of ancient sculpture. Westermeier has cut out the individual pages of the book and overprinted them with motifs that he photographed himself. The interplay between the black-and-white original and the colored overprint is conveyed in the process. Neither the printing process nor the outcome have been digitally controlled, the photographic motif has simply been adapted to the dimensions of the original. The allocation and selection of each motif was done using only the artist’s judgement, who was able to estimate, but not calculate, the outcome.
Familiar motifs from antiquity can be recognized in the originals used: the marble copy of Myron’s Discobolus, the Venus de Milo, Laocoön and his sons, and the Pergamon altar form the repertoire on which the notoriously misjudged notion of the purity and grandeur of Ancient Greek sculpture is based. Westermeier combines these models with portraits and nude photos of male performers as well as travel photos and situational street photos. The result is an exciting dialog between the idea of the classically sublime age and the current, thoroughly banal attitude to life. Irony and subtle erotic allusions provoke a contemplative smile in the viewer.
The work also speaks of a yearning—that is by no means over—for classical ideals, for ancient lands and the Renaissance, for the wanderlust of the Germans, and also about the function of photography as a trigger of this, both then and now.
Through the adaptation of artistic models, Westermeier communicates and reactivates cultural potentials that lead a shadowy existence in the periphery of our fast-moving and short-lived image consumption in publications that are no longer in demand and no longer remembered.
In a similar way, he acts as a direct intermediary in his video performances, such as in the film Kavalierstour (Grand Tour) of 2016, which shows the artist in the stance of Goethe in the Roman Campagna in front of the ruins of Paestum, declaiming literary excerpts. The work, which is subsequently a collage of cinematic fragments, develops a conversation about the continuity—or rather the misunderstood continuity—of ancient forms and values that unfolds from humanism through the Enlightenment to our present day.
In his most recent performative work, captured on film by Michalis Nicolaides, Westermeier appears in the guise of a bird-man. Concealed behind the mask of a dove's head, the protagonist coos over and ecstatically admires the ceramic and porcelain objects of the Düsseldorf Hetjens Museum. By approaching them, touching them, and presenting them in a tactile way, he seems to recommend them to the affectionate appreciation of the viewer.
The artist himself seems depersonalized: he becomes the mediator with the head of a bird, a creature between human and fable that has sprung from the theater or Egyptian mythology. He develops the role of a Homo Ludens: playing in the china shop, an advocate of forgotten treasures.
Michael Voets, 2018
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Christoph Westermeiers ausgängliches Interesse widmet sich den Aussagemöglichkeiten und ästhetischen Qualitäten historischer Objekte. Er untersucht und vermittelt ihre Kontexte, deren Gehalt in der Permanenz der bildnerischen Reproduktionen nicht selten zu einer stereotypen Vorstellung erstarrt ist. Westermeier nutzt diese anhaftenden allgemeingültigen Vorstellungen als Vorlagen für Transformation, zur Neu- und Umbewertung, als einen Spielraum, in dem vermeintlich feststehende Bedeutungen in eine für unsere Gegenwart relevante, d.h. dynamisch verunsicherte Form übertragen werden.
Kulturtransfer und historische Adaptionen führen somit die bildnerische Regie in seinen Arbeiten. Sie bilden die Grundlage für Motivkombinationen, die letztendlich das zeitlich oder räumlich Abwesende in die Gegenwart der Ausstellung übertragen.
Dieser Übertrag kann in verschiedener Form stattfinden:
Er kann sich in direkter Weise an einem Objekt festmachen, das installativ in den Raum gesetzt wird, so wie die in der Ausstellung gezeigte Arbeit „Subway Birds“. Das mit unverkennbar chinesischen Ornamenten gezierte rote Tuch, Mitbringsel von einer Reise nach Chongqing im Oktober diesen Jahres, ist in eine käfigähnliche Installation eingebunden. Diese nimmt inhaltlich Bezug auf das Vogelmotiv des bedruckten Stoffes. Die sinnliche Qualität und Lebendigkeit des Stoffes wird von der kühlen, technischen Materialität der Metallvergitterung umfangen. Es bildet sich somit zunächst die Idee eingesperrter Vögel ab. Für ein weiteres Verständnis der im Titel angelegten Sichtweise muss man vielleicht einmal in Chongqing gewesen sein: muss man vielleicht eine längere Fahrt in der überfüllten U-Bahn der Metropole erlebt haben und muss man in eben dieser U-Bahn jene Gruppe lauter, geschwätziger, grell-farbig gekleideter Chongqing-Ladies beobachtet haben, die mit ihrem aggressiven Geschnatter letztlich den Titel für die Arbeit intoniert haben.
Ganz unabhängig von dieser Geschichte, transportiert das gemusterte Tuch den Kontext der chinesischen Kultur, bietet Anlass diesen zu imaginieren. Bei genauer Betrachtung zeigt sich auch, dass die stereotype Vorstellung von kostbaren chinesischen Seidenstoffen eher der konstruierten Vergangenheit als der gelebten chinesischen Gegenwart angehört.
Eine andere Vorgehensweise liegt in der Aneignung reproduzierter Bilder und Vorbilder, die mitunter die Synonyme bzw. bildnerischen Surrogate für eine ganze Epoche stellen können.
In dem Werkzyklus „Die blauen Bücher“ verwendet Westermeier die fotografischen Reproduktionen von Skulpturen der klassischen Antike. Die schwarz-weißen Aufnahmen stammen aus dem Band „Griechische Bildwerke“ von Max Sauerland, erschienen in der Reihe „Die blauen Bücher“, Leipzig 1942. Die als Bildband angelegte Publikation versammelt Abbildungen von den Ikonen der antiken Bildhauerei. Westermeier hat die einzelnen Seiten des Buches herausgetrennt und mit selbst fotografierten Motiven überdruckt. Das Zusammenspiel zwischen der schwarz-weißen Vorlage und dem farbigen Überdruck ist im Prozess miteinander vermittelt worden. Weder der Druckprozess noch die Ergebnisse sind digital gesteuert worden, das fotografische Motiv wurde lediglich den Abmessungen der Vorlage angepasst. Die Zuordnung und Auswahl des jeweiligen Motives erfolgte somit nur durch den wertenden Blick des Künstlers, der das Ergebnis abschätzen aber nicht bemessen konnte.
In den verwendeten Vorlagen lassen sich bekannte Motive der Antike wiedererkennen: Die Marmorkopie des Diskuswerfers von Myron, die Aphrodite von Milos, die Laokoon-Gruppe oder der Pergamonaltar bilden das Repertoire, aus dem sich die bekanntermaßen fehleingeschätzte Vorstellung von der Reinheit und Erhabenheit der griechisch-antiken Plastik rekrutiert. Diese Vorlagen kombiniert Westermeier mit Porträts und Aktfotos männlicher Darsteller wie auch mit Reiseaufnahmen und situativen Street-Fotos. Es entsteht ein spannungsvoller Dialog zwischen der Idee des klassisch-erhabenen Zeitalters und dem durchaus auch banal gewerteten gegenwärtigen Lebensgefühl. Ironie und subtile erotische Anspielungen fordern den Betrachter zu einem nachdenklichen Schmunzeln heraus.
Die Arbeit referiert darüber hinaus eine längst nicht beendete Sehnsucht nach den klassischen Idealen, nach den Ländern der Antike und der Renaissance, nach der Reiselust der Deutschen und über die Funktion der Fotografie als Auslöser derselben – damals wie heute.
Über die Adaption bildnerischer Vorlagen vermittelt und reaktiviert Westermeier kulturelle Potenziale, die in nicht mehr gefragten und nicht mehr erinnerten Publikationen ein Schattendasein an der Peripherie unseres schnell- und kurzlebigen Bilderkonsums führen.
In ähnlicher Weise agiert er als direkter Vermittler in den Videoperformances. So etwa in dem Film „Kavalierstour“ von 2016, der den Künstler in der Haltung eines „Goethe in der Campagna“ vor den Ruinen von Pästum zeigt wo er literarische Textauszüge deklamiert. Die im weiteren aus filmischen Fragmenten collagierte Arbeit entwickelt ein Gespräch über die Kontinuität oder eben missverstandene Kontinuität antiker Formen und Wertvorstellungen, die sich vom Humanismus, über die Aufklärung bis hin in unsere Gegenwart entfaltet.
In seiner jüngsten performativen Arbeit, im Film festgehalten von Michalis Nicolaides, tritt Westermeier in der Gestalt eines Vogel-Menschen auf. Hinter der Maske eines Taubenkopfes verborgen umschmeichelt und goutiert der Protagonist in verzückten Bewegungsabläufen die keramischen und porzellanenen Objekte des Düsseldorfer Hetjens-Museums. Indem er ihnen nahe kommt, sie berührt und haptisch vorführt, scheint er sie gleichsam der liebevollen Würdigung des Betrachters zu empfehlen.
Der Künstler selbst scheint entpersonalisiert: Er wird zum Mittler mit dem Kopf eines Vogels, zu einem Wesen zwischen Mensch und Fabel, das dem Theater oder der ägyptischen Mythologie entsprang. Er entwickelt die Rolle eines „Homo Ludens“ – spielend im Porzellanladen – Fürsprecher der vergessenen Kleinode.
Michael Voets, 2018
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