DIE MORAL EINES RAHMENS
2012


Die Meisterwerke der großen Maler und Bildhauer, oder auch die großen Bücher der Weltliteratur sind unerschöpfliche Quellen. Sie reflektieren und interpretieren, was die Menschen im Laufe der Zeit gefühlt und gedacht haben. Ihre äußere und mehr noch ihre innere Geschichte läuft in ihnen zusammen. Aber ein Rahmen?... Rahmen umgeben uns in unserer so bilderfreundlichen Zeit allenthalben. ... Es gibt unter ihnen – man erkennt es bald – weibliche und männliche, wie es alte und junge, wie es helle und dunkle, muntere und ernste, strengere und heitere gibt. Und dann verspürt man es: eine seltsame, wirkende Kraft geht von ihnen aus. Redliche und sehr tatkräftige Partner sind sie den Bildern.

Es ist ihnen keineswegs gleichgültig, wem sie dienen. Vielmehr vermögen sie sich dem Bild, ihrem Inhalt, abertausendfach wandlungsfähig anzupassen – sehr wohl den schönen Kleidern der Frau vergleichbar. Während ein männlicher Anzug, sachlich und knapp, wie er ist, eher einem Passepartout entspricht, gleicht ein Bilderrahmen vielmehr dem Kleid einer Frau, das ja auch schützen und steigern soll, das Abschluss und Versprechen ist. Wehe freilich, wenn ein Kleid, wehe, wenn ein Bilderrahmen nur als Entschuldigung erscheint. Schlimm, wenn man feststellen muss: Rahmen machen Bilder. Und auch unter ihnen, den Rahmen, gibt es ja Konfektion und Haute Couture. Damit erschöpfen sich freilich ihre Gemeinsamkeiten. Denn schließlich ist es die ursprüngliche Bestimmung eines Kleides, Gewand zu sein und dem menschlichen Körper zu verhüllen, ... wogegen der Rahmen das Bild gerade zur Schau stellen soll. Die Moral eines Bilderrahmens ist also eine völlig andere, gegenteilige als die des menschlichen Kleides.

ALFRED STANGE, „ALTE BILDERRAHMEN“
Darmstadt 1958, S 5-7


DIE MORAL EINES RAHMENS
seven images, C-Print, 68x51 cm, 2011
Installation view Kunstverein Bonn,
Peter Mertes Stipendium 2010/2011, 2011
Installation view, "Physical and Virtual Bodies“
Museum voor Moderne Kunst Arnhem, 2013