FEATURING DIE RITTERRÜSTUNG
2019


Als ich ab 2004 an der Kunstakademie Düsseldorf studierte, spielte Friedrich August Siegert und die Genre- und Salonmalerei des 19. Jahrhunderts überhaupt keine Rolle in meiner Wahrnehmung von Kunst. Geradezu bizarr erschienen mir die goldenen Rahmen und süßlichen Bilder des vorletzten Jahrhunderts, wenn ich sie zufällig in einem Museum entdeckte. Nachdem ich Susan Sontags »Notes on Camp« gelesen hatte, wusste ich sie zwar für mich einzuordnen, doch konnte ich sie nicht in meine Bildwelt integrieren.

Als ich mich nach der Beendigung meines Studiums anlässlich der Ausstellung »There’s no place like home« (2013) im Westfälischen Kunstverein Münster intensiver mit der Genre- und Salonmalerei des 19. Jahrhunderts beschäftigte, änderte sich mein Blick: Ich entwickelte ein Gespür und eine Faszination für diese Zeit und ich entdeckte in den Bildern dieser Epoche eine Aktualität, die ich nicht vermutet hatte.

Waren im 19. Jahrhundert die Künstler*innen mit der »Industriellen Revolution« nicht genauso mit etwas Neuem konfrontiert, wie wir in Zeiten des »Digitalen Wandels«? Wie reagierten Künstler*innen auf diesen Wandel und wie gehen wir heute vor? Gibt es in beiden Generationen nicht ein Bedürfnis, zu zitieren und die Dinge in Kontexte zu setzten? In der Münsteraner Ausstellung zeigte ich die Arbeit Das schielende Archiv, eine Fotoserie, deren Titel auf eine Formulierung des spanischen Philosophen José Ortega y Gasset verweist. Ortega y Gasset bezeichnet in dem 1925 veröffentlichten Essay »Die Vertreibung des Menschen aus der Kunst« die Kunst des 19. Jahrhunderts als »hochgradig schielende Kunst«, da ihre Erzeugnisse eine Art der Wahrnehmung erforderten, die unvereinbar sei mit unserer alltäglichen Wahrnehmung der Realität.

Wenn ich als Künstler des 21. Jahrhunderts diesen schielenden Blick zulasse und von den Prunkrahmen nicht abgelenkt bin, sehe ich in diesen Bildern etwas Zeitgenössisches. Ich sehe Konzepte, die erarbeitet wurden und in unterschiedlichen Konstellationen variieren. Friedrich August Siegert ist für mich ein Kollege, der sich ein Figurenrepertoire erarbeitet hat, das er immer wieder einsetzt. Gleich Montagen, die per copy-paste auf die Leinwand gesetzt sind, erscheinen mir diese Bilder, angereichert mit Anspielungen und Zitaten aus der Kunstgeschichte. Einzelne Motive und Elemente tauchen immer wieder auf, sie sind nicht mit einem singulären Bild verbunden, sondern mit einem Kosmos, der stetig variiert.

Als Fotograf arbeite ich ähnlich. Jedes Bild ist ein Zitat und eine Variation von etwas, das es gibt. In der Serie Featuring die Ritterrüstung spinne ich diesen Faden weiter, indem ich Gemälde von Siegert in einem heutigen Umfeld fotografiere. Der Bildaufbau wird in die Gegenwart überführt und die Bilder unter Aspekten unserer Zeit neu gesehen. Jetzt sind die Bilder von Friedrich August Siegert Zitate und helfen, neue Bilder zu kreieren: Der Stuhl auf einer Radierung formiert sich mit dem Foto einer Stuhllehne zu einer neuen Sitzgruppe, ein Blumenmädchen verschmilzt mit dem floralen Bezug eines Polstermöbels und ein Schnapstrinker prostet Gläsern zu. 

Christoph Westermeier

FEATURING DIE RITTERRÜSTUNG, a series of 27 images, each 30x45 cm, C-Print, 2017/2019
published in: August Friedrich Siegert, Koekkoek Haus, Stadtmuseum Düsseldorf, 2020