SUSI GERN, CHARLES
BRONSON UND DIE MARILYN
2015


An Freundschaften bin ich nicht interessiert. Es liegt mir nicht viel daran mit Menschen zu reden, das einzige, was mich an einem Mann interessiert ist das Sexuelle und wenn man eine Weile intim war kann man sich doch nicht auf einmal Karten schreiben. Mit einem Homosexuellen ist das vielleicht etwas anderes aber eigentlich bin ich ganz glücklich alleine in meinem Elfenbeinturm. Nun ist der Elfenbeinturm kein Luxus-Penthouse, das gab es mal, aber seit bald zwanzig Jahren steht kein Stein mehr auf dem anderen.

Seit zwei Monaten beschäftigt mich die Geschichte der Susi Gern, die sich einst als Stoff sah aus dem ein Ballkleid ist und mit ihrem roten Porsche gen Süden fuhr und bei einem Dichter im Land der Denker klingelte. Sie war aufgeregt, hatte sich überlegt was sie antworten würde wenn entweder er oder sie die Tür öffnen würde, aber dann kam alles anders, da zwar die Tür geöffnet wurde aber die ganze Familie hinausstürmte da der Hund getürmt war. Sie suchte mit, ließ sich anstecken und war hinterher so durcheinander und geschafft, dass sie alles vergessen hatte und dann, als sie sich ein bisschen esammelt hatte nur noch stammeln konnte, dass sie der Stoff sei aus dem man Traumroben schneidern sollte und er, der Dichter sei jetzt für sie der Couturier und hier sei sie nun und er möge doch Schere anlegen und loslegen. Er beugte sich nach vorne und rieb den Mittelfinger an den Daumen und fragte, wie sich denn dieser Stoff nun anfühle. Hätte er damals geschrieben wäre es ein ganz anderes Buch geworden, er aber hat gewartet und gewartet und dann ging alles den Bach runter. So ist es nun etwas ganz anderes und es ist ja auch keine Biographie, sondern ein Roman. Mit allem ist sie nicht einverstanden, vieles stimmt nicht und er brauchte ja auch einen Sündenbock, aber sie hat es gelesen, wohl das einzige Buch, das sie freiwillig je gelesen hat. Sie sei ja keine Intellektuelle und Bücher interessieren sie nun mal nicht. Sie hat es gleich nach der Veröffentlichung gelesen und sich notiert, was Fiktion ist und was nicht um nicht irgendwann mit den Ebenen durcheinander zu kommen. Schon jetzt ist sie sich nicht mehr sicher, ob sie gewisse Momente in ihrem Leben wirklich erlebt hat oder ihr alter Ego im Roman. Aber es ist ja ein Roman und der lebt dann weiter – und ein Opa vererbt ihn an den Enkel und der Enkel geht dann mit dem Buch an den Strand und liest dann von mir und so bin ich dann doch auch da, so reise ich dann doch auch noch obwohl das ja nicht mehr drin ist.

Ich weiß nicht, was sie von mir hält. Eine ältere Dame, die sich uneingeschränkt über Kontakt freut, ist sie gewiss nicht. Als ich sie das erste Mal am Telefon erreichte, stammelte ich meine Erklärung bzw. Frage ob sie die Susi Gern aus dem Buch sei. Oh ja, ja, das bin ich, aber wie kommen sie auf mich? Bis jetzt hat mich nur ein Gynäkologe aus Bad Oeynhausen gefunden. Sind Sie ein reicher Mensch und wollen mir helfen? Als das Buch erschien hatte sie fest mit reichen Menschen gerechnet, die an einem Helfersyndrom leiden, aber sie wartete vergebens. Sind sie sicher, dass sie nicht reich sind und mir helfen wollen oder sind sie vielleicht ein Sohn meines verstorbenen Mannes? Ihr Mann hatte viele Frauen und da wird der doch bestimmt auch mal eine geschwängert haben. Ach, wie würde sie sich für ihre Kinder freuen, wenn die auf einmal ein neues Geschwisterchen haben würden, und wenn das Kind dann auch noch Geld hätte und uns helfen würde, ach, ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Obwohl ich nicht der uneheliche Sohn ihres Mannes bin habe ich ihr den Tag gemacht – und wie alt sind sie denn, ihre Stimme klingt noch so jung? Darf ich schätzen, vielleicht siebenunddreißig? Und dann liegt das Leben ja noch vor ihnen und dann kann man so viel machen. Da steht man ja mitten im Saft.

Ich versprach, mich wieder zu melden und sie notierte sich meine Nummer, nicht um mich zu überprüfen sondern einfach so.

Ich versuchte ein paar Wochen später sie zu erreichen, aber niemand nahm den Hörer ab. Ich erinnerte mich an all die gesundheitlichen Beschwerden, von denen sie mir erzählte – und auch wenn der Arzt sie nicht sterben lassen möchte da er ja gar nicht mehr ohne mich kann, ist auch ein Arzt gegen die Natur machtlos und da Susi Gern nun auch schon Ende achtzig ist, musste ich mit ihrem Tod rechnen. Dennoch schrieb ich ihr zwei Karten, setzte meine Adresse gut leserlich auf den Briefumschlag um im Notfall ihre Traueranzeige zu bekommen. Diese kannte sie bereits. Der Nachruf ist doch für den Verstorbenen viel interessanter als für die Hinterbliebenen und so drängte sie ihren Sohn einen über seine Mutter bereits zu deren Lebzeiten zu verfassen, der auch wirklich ganz toll geworden ist.

Ich hatte mich für zwei sehr unterschiedliche Postkarten entschieden, eine Fotografie aus den 50er Jahren, schwarz/weiß, die Pumps und Petticoat bis zu den Knien zeigt, in der Bildmitte ist zudem eine Wasserstation für die Feuerwehr zu sehen, die andere Karte zeigte eine konstruktivistische Form von Alexander Rodtschenko, gemalt 1918. Es sieht aus wie eine Gouache, zeigt einen blauen sich öffnenden Halbkreis und einen roten Ball, der über den Kreis balanciert. Ich habe Sie gar nicht im Telefonbuch gefunden, auch nicht im Gelben, sagte sie mir, als ich sie eine Woche später am Telefon erreichte. Wissen Sie, mich darf man am Vormittag nicht anrufen, ich schlafe bis halb elf, manchmal auch länger, dafür gehe ich aber spät ins Bett, um eins, halb zwei herum.

Ich möchte ein Foto von ihr machen, wenn sie es zulässt, wenn nicht, von den Dingen, die sie umgeben. Ja, ja, wie der Andy Warhol. Da kam mein Mann spät nach Hause von einer Eröffnung bei Mayer und sagte Schatz, der Warhol macht ein Portrait von dir und von mir. Aber nur, wenn er auch unsere Katzen malt erwiderte ich, worauf mein Mann antwortete, ich wüsste ja nicht, was das kostet, das ginge zu weit. Und so kam dann der Herr Warhol mit seinem Freund, er war ja homosexuell, und machte Fotos. Mein Mann legte Musik auf und ich trank Champagner, zwei Flaschen, dabei stellte ich mir vor, dass der Herr Warhol ein ganz schöner Mensch wäre. Er war es ja überhaupt nicht aber ich möchte mich nur mit schönen Menschen umgeben und so habe ich die Augen geschlossen und mir einen Adonis gedacht, der Fotos von mir macht. Mit dem Ergebnis war ich dann erst nicht zufrieden und habe es umgetauscht. Das hat ja auch einiges gekostet und da kann man dann auch mal einen neuen Hintergrund verlangen. Leider hat er unsere Katzen nicht fotografiert, die wären heute ja was wert. Keiner hängt sich eine Frau K. ins Wohnzimmer aber die Katzen hätten ganz viel Geld gebracht. Die Bilder haben wir ja auch schon lange nicht mehr, aber wir haben sie vorher fotografieren lassen und ganz besonders gedruckt, so hat unsere Tochter ihre Eltern immer bei sich.

Die Tochter ist geistig behindert und lebt mit ihr auf den 40 qm. Sie muss sehr dick sein, ist Ende fünfzig und spricht sechs Sprachen fließend. Jetzt auch noch Hindu, von den Indern im Haus hat sie es gelernt. Mit wem sprichst du da Mama fragte eine Stimme aus dem Off, das geht dich nichts an, doch wohl, wenn du Leuten erzählst das ich Hindu spreche geht mich das was an, mit wem telefonierst du überhaupt, das ist privat, nein, hihihi, jetzt ist sie eifersüchtig, Schatz, ich erkläre es dir gleich, ich muss jetzt leider Schluss machen aber rufen Sie mich doch wieder Anfang September an, nach dem 26ten, dann ist doch meine Magenspiegelung und wenn ich das überlebe, habe ich vielleicht Zeit für Sie. Mein Sohn kommt dann ja auch, wissen Sie, es kann passieren was passiert, aber Familie bleibt das Wichtigste. Sie legte auf und ich dachte an den Sohn, der auf lokaler Ebene Direktor einer Bank hätte werden können aber dann Zuhälter wurde und lange in Südamerika lebte.

Anfang September sprechen wir uns, die Magenspiegelung konnte nicht durchgeführt werden, da sie so starken Husten hatte. Auch wenn man ihr sagte, dass man unter Narkose nicht hustet musste sie verschoben werden auf den 27ten. Auch einen Zahn hat sie verloren, zum Glück hat es sich nicht entzündet aber statt eines Termins an dem das Loch ausgehöhlt wird, muss sie erst mal zu einem Gespräch kommen.

Der Sohn ist nach Grafenberg in den Entzug eingeliefert worden, er ist ein Alkoholiker. Getrunken hat er schon immer viel. Das wird einem ja erst mal klar. Letztes Jahr war er schon mal da, die ersten drei Tage sind ja ganz schlimm, ich komme ihn erst danach besuchen. Letztes Jahr hat er eine Frau kennen gelernt, die ist jetzt schon zum vierten Mal binnen eines Jahres da!

Als ich meinen Sohn besuchte, sagte ich, ach gut, dass du da bist, ich freue mich so, wenn du wieder nach Hause kommst, dann kann ich mich die Treppe hochziehen und du stehst dann oben und schaust mich an und er sagte, ach, das möchte ich auch. Ich habe ihm dann einen Haufen Zigaretten mitgebracht, der hat ja schon mit 13 angefangen, alt wird man damit nicht aber er ist doch mein Sohn, dann bringe ich ihm da Stangen von dem Quatsch mit und sehe die da, die sind schon ziemlich fertig, die attackieren ja ihren eigenen Körper, das ist ja wie Selbstmord auf Raten. Ich habe ja selber 25 Jahre lang gespuckt. Tagsüber habe ich nur ganz gewählt gegessen, eher ein bisschen gepickt. Damals gab es so Körner, die aß man und dann war der Bauch voll und ich hatte keinen Hunger. Abends wurde immer Hochzeit gefeiert, ganz viel gegessen, Salami und Butterbrote, dass sie mir aus den Ohren wieder raus kamen. Dazu immer eine Flasche Wermut und dann bin ich gehüpft und gesprungen, dass sich das vermischt und der Alkohol ins Blut geht aber nicht das Essen, das habe ich dann wieder ausgespuckt, eine Nagelfeile, mit ganz dick Watte drum und dann alles raus. Immer pünktlich. Einmal kam die Enkeltochter auf mich zu und sagte, Oma, gleich fängt der Film an, es ist schon acht und du hast noch nicht gespuckt. Da habe ich gesagt, aber Schatz, ist die Oma einmal zu spät gekommen, wenn ihr einen Film ansehen wolltet? Um 20:15 war ich dann da, ich wusste immer genau wie lange es dauert. Geschadet habe ich ja keinem, auch mir selber nicht, nur das Gewicht gehalten. Nach 25 Jahren bin ich dann zum Arzt und habe mich untersuchen lassen und der hat gesagt, das sieht man gar nicht, dass sie jeden Tag gespuckt haben, aber das ist ja der Unterschied zu Leuten mit Bulimie, die essen und spucken den ganzen Tag, ich nur abends.

Sie nimmt auch schon seit immer Schmerztabletten, morgens welche und mittags. Der Arzt hat mich gefragt, ob ich denn Schmerzen hätte aber wie soll ich das denn wissen, wenn ich lieber gleich Tabletten schlucke? Für die Industrie ist das ja gut und ich wäre bestimmt auch nicht so gesund wenn ich mir nicht so immer das Blut verdünnt hätte. Aber man muss aufpassen. Neulich bin ich mit einem jungen Mann aus dem Haus einkaufen gewesen, der war ganz hektisch und so ein Mann mit dem man nicht einkaufen kann. Was ist denn mit ihrem Auto los, das macht so komische Laute hat er dann gesagt und ich habe gesagt, das ist nicht komisch, das ist der Sound eines Porsches. Wenn sie in ihrem Golf sitzt und das Geräusch hört, fühlt sie sich zurück versetzt in die Zeit, als sie Porsche fuhr. Er ist dann aber zu einer Werkstatt gefahren und da haben die dann fest gestellt, dass die Befestigung der Reifen ab ist. Wir wissen ja, dass Sie kein Geld haben aber das muss gemacht werden, ab wann ist es denn für Sie teuer? Ab 50 Euro sagte sie und die haben gelacht aber das muss gemacht werden und so bin ich dann am nächsten Tag mit der Tochter im Taxi nach Ratingen gefahren. Früher ging sie mehrmals wöchentlich in ein Nagelstudio, jetzt nur noch gelegentlich und mit der Bahn sind wir dann zurück. In Ratingen haben mich zwei Männer angelächelt, der eine hat mich so angeschaut und ich ändere gerade meine Frisur und habe das so mit Klammern hochgesteckt und der schaute nur und als der ging habe ich kurz überlegt ihm nachzulaufen und zu fragen, was war das denn gerade aber ich habe ihn vielleicht nur an seine Oma erinnert. Und da war ich dann glücklich, eigentlich bin ich ja permanent unglücklich, aber ich bin zufrieden. Unglücklich ist sie, da für sie ohne Mann das Leben kein Leben ist. Jetzt hatte ich schon so lange keinen Sex mehr dass ich ja wieder Jungfrau geworden bin, das war ja schon bei meinem zweiten Mann so, dass ich zum Arzt ging und fragte, ob das da Unten bei all den Spinnenweben überhaupt noch funktioniert, aber da ja Männer immer auf Jungfrauen stehen ist das ja eigentlich was ganz Tolles. Aber Männer hatte ich ja immer, ich habe die ja immer geliebt. Jetzt liebe ich Charles Bronson, ach was für ein Mann, den habe ich gerade wieder im Fernsehen gesehen. Nicht so lange Beine und so ein guter Mörder, wie gerne würde ich mit ihm des Nachts durch den Park ziehen und Männer ermorden. Wenn einer mir blöd kommt drehe ich mich um und schieße ihm zwischen die Augen oder direkt ins Herz das es richtig weh tut. Vielleicht sollte ich ihn neben meine Marilyn und den Michael Jackson stellen. An dem Michael erfreue ich mich ja immer so, wenn er im Fernsehen läuft drehe ich sein Bild zum Fernsehen und sage, Junge, das hat du gut gemacht. Der hatte ja auch kurze Beine und konnte singen, singen konnte der wie sonst keiner. Mein Inder solle auch mal singen, ich bin mit ihm ins Studio zu so einer Frau und habe gesagt, sing, aber der konnte das nicht, der war zu geizig, der war sogar zu geizig um einen Ton aus seinem Mund zu lassen. Aber er war einer der Männer, die ich liebte, auch wenn ich ihn zwei mal betrogen habe. Er war so schwermütig und damit kam die Impotenz und als dann ein anderer immer zu uns nach Münster kam habe ich immer gelacht. Der hat dann dem Koch gesagt, dass er etwas von mir möchte und der Koch sagte, gehen wir heute ins Kino und sie nehmen wir mit und dann hat der sich an mich heran gemacht. Sie trafen sich, aber beim zweiten Treffen hat der Inder es gesehen, und dann habe ich mit ihm Schluss gemacht und der hat geweint und war ganz durcheinander aber sie kann keine zwei Männer lieben, ich liebe nur einen Mann und kaputt machen wollte sie nie etwas. Und dabei hatte der Inder eine Familie. Das zweite Mal betrog sie ihn, als er mit seiner Familie in den Urlaub fuhr, also wenn man mir das antun kann, was war ich da sauer und habe geweint. Sie fuhr direkt nach Jugoslawien und habe mir dann da so einen tollen Mann aus der Südsee geangelt, der wollte auch nur noch Sex mit mir, so das ich sagte, aber nein du bist doch braun, ich nicht, also mussten wir tagsüber an den Strand und abends ins Bett.

Sie ist eine Rächerin, sie sagt, ich bin eine gute Rächerin. Aber nach der Rächung ist es wieder gut, das ist für mich wie ein Sommergewitter, es muss raus und danach bin ich geheilt und neutral. Aber es muss an dem Menschen rausgelassen werden, der dich verletzt hat, nicht an einem Stellvertreter. Einst traf sie einen Mann, der mit seinem Tun und sie aus dem Dornröschenschlaf weckte, der ihr Herz im Sturm eroberte und es brach, sodass sie zur Polizei ging und eine Anzeige erstatte, aber dabei log und vor lauter Lügen krank wurde. Sie fühle sich als Opfer, sie war ein Opfer und traf andere Opfer, so eine Frau die dem Mann einst einen Porsche lieh, mit dem er zu Susi fuhr und die Susi sehr beeindruckte denn endlich war da ein Mann der einen eigenen hat und nicht nur mit meinem fahren möchte. Zweimal schlief sie mit ihm, zweimal schlief er mit mir ohne Kondom. Und wenn er mich mit Aids infiziert hat braucht er keine Angst vor dem Tod zu haben. Eines natürlichen Todes wird er ganz bestimmt nicht sterben, lange leiden wird er auch nicht denn dann muss man morden und dann ist das Morden gut und gesund.

Sie hat nicht gemordet, sie hat weiter geliebt. Es dreht sich um Männer, alles dreht sich und was ist die Welt ohne Männer. Mit 34 liebte ich einen 18 jährigen Knaben, er war groß und ein wilder Junge, mit so einem Körper, der wusste was er kann und wollte. Sie durfte nicht wissen, wie alt er war, er hätte alles sein können, so groß und verwegen, dabei mit einem verschmitzten Lachen. Nun ist er mit einer zusammen, die zwar groß und blond ist aber die besser nicht den Mund aufmacht. Er hat sich in ihr Bild verliebt und ihr Charakter ist ganz hässlich, sie fasst ihn nicht an, keine Umarmung, kein Händchenhalten, nichts, und für die Nächte hat sie einen Vibrator. Und er eine Gummipuppe. Sie hat ihn dazu gebracht, es mit einer Gummipuppe zu treiben und die muss er Wachen und Pflegen. Das ist widerlich und falsch und am Strand darf er nicht den schönen Mädchen hinterher schauen sonst geht sie wieder an die Decke, auch wenn es die am Strand nicht gibt. Und wenn er sie nicht schon jetzt hasst, dann hasst er sie bald, dass sie ihn dazu gebracht hat, es mit einer Gummipuppe zu treiben hat alles kaputt gemacht und das kann man nicht mehr reparieren. Da wird ein Mann impotent und verliert seine Sexualität. was hingegen nie aufhört zu arbeiten ist das Kopfkino, die Idee von Sexualität bleibt immer bei mir und wenn man damit umgehen kann geht es nicht
kaputt.

Wenn sie mal kaputt geht, wenn sie stirbt, muss sie mit einem ganzen Umzugswagen beerdigt werden. Ich habe so viele schöne Sachen, die möchte ich nicht messen. Da ist zum Beispiel so ein kräftiges Glas, das liegt so gut in der Hand und hat Noppen, daneben habe ich ein Mageritenglas, davon habe ich mal Kisten gekauft. Als mein Therapeut bei mir zu Besuch war fragte er nach den Gläsern und sagte ja ein Glas, der hat das gar nicht verstanden, aber ich habe zu meiner Umgebung eine tiefe Beziehung, zu Objekten und zu Menschen und die müssen alle schön sein. Als der Herr Warhol bei uns war habe ich die Augen zu gemacht und mir vorgestellt, dass eine große sexuelle Energie von ihm ausgeht und gerade zwischen uns die Funken fliegen, obwohl er ja so schmächtig war und so weiß blonde Haare, aber dafür einen sehr attraktiven Freund. Attraktiv war der Warhol ja wirklich nicht und ich musste eine ganze Flasche Champagner trinken damit der mich überhaupt fotografieren durfte. Sucht sie eine Bühne? Man hat das Gefühl, das sie es sehr genießt von ihrem Leben zu erzählen und ein paar Geschichten hat, die sie immer wieder zum Besten gibt. Da ist sie sehr geschliffen und weiß, wie sie die Pointen zu setzen hat. Sie genießt die Aufmerksamkeit, erzählt gerne aber teilt nicht wirklich. Das Bedürfnis zu erzählen, scheint groß zu sein, sie ging gerne zu Selbach und erzählte den Verkäufern aus ihrem Leben. Wenn reiche Frauen in den Laden kamen verschwand ich ganz schnell, Fortsetzung folgt sagte ich, da die Verkäufer ja zum Verkauf da sind. Ihnen erzählte sie von Ihren Männern, von ihren Abenteuern. Es werden wohl überwiegend schwule Verkäufer gewesen sein – und sie haben mich geliebt. Sie liebt auch Pünktlichkeit und macht sich Gedanken über die Zeit und Zeitpunkte. Vergangenen Samstag rief sie mich an, ich war im Stress, hatte keine ruhige Minute und versuchte sie abzuwimmeln. Ich weiß, dass sie keine Zeit für mich haben aber gerade hat das Telefon geklingelt und Bettina hat mich nicht rangelassen. Und ich habe nur gedacht, wenn das jetzt der Christoph ist und der mich nicht erreichen kann... und bevor ich das ganze Wochenende sauer auf meine Tochter bin rufe ich kurz an und frage nach. Aber sie haben ja keine Zeit, melden Sie sich wenn es ihnen passt. Wenn sie einen Mann anrufen möchte ist für sie Dienstag der perfekte Tag. Man weiß ja nie, wenn sich seine Frau von ihm am Wochenende getrennt hat und die Scheidung eingereicht hat, braucht er den Montag um über den Schock hinweg zu kommen. Am Dienstag kann man dann wieder normal mit ihm sprechen. Also rufe ich am liebsten am Dienstag Leute an. Mittwoch geht auch. Ab Donnerstag sind ja alle Leute aufs Wochenende eingestellt und dann passieren ja immer so viele Sachen. Ehemänner darf man übrigens nie direkt ansprechen. Dann schalten die sofort ab. Wenn man etwas von denen möchte, muss man es umschreiben, so dass sie das Gefühl haben, die Idee käme von ihnen.

Sex ist ihr Hobby. Sie wurde katholisch erzogen und Sex war immer so etwas Schlimmes und Furchtbares und ich hatte große Angst davor. Bis ich dann mal mit so einem jungen Herren auf der Strasse rum gemacht habe, da war ich vierzehn und es war wie bei „Lilli Marleen“ und ich war ganz begeistert. Ich habe nicht verstehen können was daran falsch war, das macht doch Spaß und dann habe ich beschlossen das wird mein Hobby. Ich bin nur leider immer zu schnell schwanger geworden. Ich habe zu meinem Arzt gesagt, ich brauche ja nur einen Mann anzuschauen und schon bin ich schwanger. Abtreibungen waren verboten und dennoch ließ ich mich regelmäßig ausschaben. Ihre erste Abtreibung hatte sie mit 15 Jahren. Da gab es bei uns so einen Arzt zu dem man dafür ging. Ich habe meinen Eltern nichts gesagt sondern bin nach dem Abendessen aufgestanden und habe gesagt ich gehe noch mal kurz an die frische Luft. Und dann habe ich das wegmachen lassen und am nächsten Tag wollte ich in die Schule aber ich konnte nicht. Das hat so furchtbar geblutet und meine Eltern waren in große Sorge und meine Mutter wollte mit mir zum Frauenarzt gehen weil sie dachte mir würde was fehlen. Ich konnte ja nichts sagen und als es nicht besser wurde sind wir dann zum Arzt gegangen und der hat zu meiner Mutter gesagt, ihrer Tochter fehlt nichts, die hatte doch eine Abtreibung und meine Mutter ist aus allen Wolken gefallen.

Ohne Scham redet sie über ihre sexuellen Eskapaden, dabei reagierte sie sehr irritiert, als ich ihr eine Postkarte von James Bidgood schickte. Also so was Unanständiges mag ich nun
wirklich nicht, bitte schicken sie mir so etwas nicht wieder. Denn das Sexuelle steht nicht bei ihr im Mittelpunkt. Ist es die Liebe? Es ist eher die Fixierung auf Männer. Starke Männer liebt sie. Sofort. Manchmal sehe ich sie auf der Strasse und möchte ihnen um den Hals fallen – und wenn sie sich mit ihnen trifft und er nicht meine Hand nimmt bin ich außer Rand und Band, aber wenn ich dann mit ihm im Bett liege bin ich wieder glücklich, dann will ich nie mehr heraus und alle meine Gedanken kreisen um ihn. Als sie merkte, dass ihr der zweite Mann entglitt setzte sie sich auf seinen Schoß und sagte er solle sie nie vergessen. Morden kam nicht in Frage, da ist der andere tot und ich muss für immer ins Gefängnis - aber wenn ich dir ein Auge aussteche und ein Bein abhacke dann bin ich immer bei dir. Dann kannst du mich ein Leben lang hassen – und ich hab meine Ruhe und wer weiß vielleicht ist das Gefängnis ja spannend. Sie hat geübt, linkes Auge und rechtes Bein, rechtes Auge rechtes Bein und gemerkt, linkes Bein und rechtes Auge ist am Besten, dann ist beim Sex immer dieser Stumpen dazwischen und die Frauen sind ganz angewidert wenn sie ihn ansehen, sehen sie nur so ein Loch, ach was ist das schön und Tom Tykwer soll es verfilmen und Hannelore Elsner mich bitte spielen.

Ich habe übrigens beschlossen ihnen meine gesammelte Korrespondenz zu vermachen, das wird ein paar Jahre dauern, es gibt ja alles bis zu zehn mal und es dauert auch bis es alles hübsch in roten Ordnern sortiert ist aber dann ist es Ihres, vielleicht.

CHRISTOSPH WESTERMEIER, 2015

The installation „Susi Gern, Charles Bronson und die Marilyn”
is about a fictional character that becomes real.
Based on the novel “Der Lebenslauf der Liebe
(The personal record of love) by Martin Walser, 2001.


SUSI GERN, CHARLES BRONSON UND DIE MARILYN
Multi Media Installation, first shown at Alte Fabrik, Gebert Stiftung Rapperswil. “Die Unendliche Bibliothek”, curated by Alexandra Blättler, 2015

Installation view "Susi Gern, Charles Bronson und die Marilyn”,
Gebert Stiftung Rapperswil,
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